
3. Akt: Das Neue
Was erweist sich als wert, wahrlich "neu" genannt zu werden?
Diese Frage tangiert den Charakter eines Ereignisses schlechthin.
Kaum ausgesprochen, beginnt jenes, das seinem Inhalt nach "neu" genannt wird, bereits in einen Verwesungsprozess einzugehen.
Es lag uns beim 3. Akt des Rieger Salons daher daran, das Neue selbst bei rednerischen sowie musikalischen Beiträgen auszusprechen.
Das Programm des Abends barg einige Inhalte, die sich ihrem Schicksal des Veraltens widersetzten. So stieß der Offizier der Reserve Alexei Klimov mit dem Impetus des Avantgardismus gleich zu Beginn vor.
Den Avantgardismus prägt dem Begriffe nach zunächst das Militär. Die Vorhut eines jeden Krieges zeichnet stets eine Ambuguität von Verlust und Gewinn, sei es an militärischen, literarischen oder künstlerischen Fronten.
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Der klassische Maler Richard Hofbauer sprach von der Natur als Mannigfaltigkeit, aus der der Künstler immer wieder ein Bild von Welt im Prozess des kreativen Schaffens erzeugt, dem stets "novitas" gebührt.
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Der Philosoph, Theologe sowie Dichter Jan Juhani Steinmann sprach über die Strukturen und Möglichkeiten des "Neuen" oder "Anderen" Denkens und in welchen Kategorien es sich zeigt.
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Für die musikalischen Beiträge sorgten die Sängerin Olya Senynets und die Pianistin Yaning Cui, die sie am Klavier begleitete.
Für die köstliche Weinbegleitung des Abends sorgte Muck Weingut sowie Anna Schartinger als das zauberhafte Geleit Dionysos, die uns die Kraft der Gärung des Neuen in die Kelche goss und in bacchantischen Taumel verführte.
Zum ersten Mal gab es eine Auswahl an Werken des Brot und Spiele Verlags ausliegend. Der Brot und Spiele Verlag ist seit dem 3. Salon Kooperationspartner des Rieger Salons. Unter den ausgelestellten Werken fand sich unter anderem das Werk "Diabloische Definitionen" des Verlegers Max Haberich.
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Zum Neuen in der Kunst
Richard Hofbauer
Für den vom Daimon der Mode getriebene Zeitgeist der Gegenwart stellt das “Neue” in sämtlichen Bereichen des menschlichen Strebens und Schaffens die Spitze kultureller Leistung dar. Idealfiguren hierbei sind in der Technik und der Wirtschaft der stetige Innovator, der jedes Quartal dem Markt grundlegend neue Produkte zur Revolutionierung des bisher gewohnten Alltages bieten muss, ungeachtet dessen sich diese Schein-Innovationen aber im Grunde kaum von den Vorgängermodellen unterscheiden. In den Künsten aber ist es die sogenannte Avantgarde, Vorreiter ohne Nachhut, sodass die Kunst der Moderne zwar einen Überfluss an “-ismen” unterschiedlichster Bewegungen vorweisen kann, dafür aber an einer Fülle von Werken mangelt, die diese Bewegungen erst als solche ausweisen würden. Das phänomenologische Problem des Neuen, im vulgären Sinn, ist dessen Substanzlosigkeit, das sich in der Unmittelbarkeit der Erfahrung uns bereits wieder entzieht. Das ehemals Neue erscheint nun als etwas familiäres, sodass keiner Sache die Neuigkeit als etwas wesentliches anhaften kann. Hierin liegt die Erzsünde der avantgardistischen Moderne, die sich bereits mit dem Brechen sämtlicher Tabus und Traditionen erschöpft hat, sodass im Schutt der kulturellen Landschaft nichts mehr übrigbleibt, das noch umgeworfen oder entweiht werden kann. Das ehemals Neue aber kann wohl durch seine Einzigartigkeit brillieren, doch in der undurchschaubaren Masse des zeitgenössischen Kunstbetriebes wird kaum etwas hervorstechen können, denn im Dickicht des Chaos lässt sich aufgrund der Abwesenheit von Form und Ordnung notwendig nichts voneinander unterscheiden und wir kennen alle, so vermute ich, das Gefühl einer bedrückenden Verwirrung nach dem Besuch in derlei Institutionen wie das Museum für Moderne Kunst oder der neuen Albertina. Wehe also der durch Kritiker und Auktionshäuser künstlich am Leben erhaltenen Moderne, denn der vermeintliche Fortschritt als ein reiner Selbstzweck hat sich schon lange in der Kunst aufgezehrt und wie durch den aufgerissenen Beutel des Aiolos wurde die zeitgenössische Kultur aufs weite Meer hinausgeworfen und es hat den Anschein als wüsste man nicht mehr, welcher Weg in die ersehnte Heimat zurückführt und ja, unsere Seelen dürsten danach. In Anbetracht dessen scheint es fraglich wie sich der Leitbegriff des hiesigen Salons, das Ewig Neue, in der Kunst behaupten kann. Führen wir also eine Begriffsunterscheidung ein: Das substanziell substanzlose Neue kennzeichnen wir als Novum und dem gegenübersteht aber die sich mit jedem Werk stets erneuernde Kraft des Ingeniums, das wir, wie der Begriff schon anklingen lässt, als die schöpferische Anlage der Natur bezeichnen wollen, an der der Mensch durch die Ausübung seiner Kunst teilhat. Hiermit gibt es Anlass zur Bescheidenheit: denn die Künste sind letztlich in ihrer Gesamtheit bloß eine Mimesis der schöpferischen Prozesse der Natur und ferner des Kosmos allgemein und diese Erkenntnis dient der Klassischen Kunst als Fundament. Durch das griechische Altertum haben wir gelernt, den Geist in der Natur zu sehen und die Natur im Geist. Anstatt ein vermeintlich genialischer Einzelkämpfer auf verlorenem Posten zu sein, erniedrigt sich also der klassische Künstler zu einem frommen Diener, der durch die eigene Unterordnung in den natürlichen Schaffensprozess, zu einem ausführenden Arm dessen wird und sich so erst der eigentlichsten Aufgabe der Kunst als würdig erweist: Alle menschliche Kulturtätigkeit stellt in ihrer Gesamtheit eine einzige, für die Unmittelbarkeit aber unkenntliche Kosmologie dar, durch die der Mensch sich selbst und seinen Platz im Kosmos ergründet. So auch die Kunst, die über den Logos des Pathetischen uns zur Erkenntnis der Sinnhaftigkeit des Menschlichen Daseins inmitten des Gesamten führt. Es ist würdiger, ein Vasall eines großen Herrn zu sein, anstatt ein König unter den Fliegen und die wahre Herrscherin und Richterin über die Kunst ist und bleibt die Natur und wir Künstler täten gut darin, ein grundlegendes Maß an Ehrerbietigkeit in Anbetracht derer zu kultivieren. Ich fordere nun aber hiermit in keinster Weise eine fortwährende Wiederholung, ein stumpfes Nachäffen, alter Manierismen und Formsprachen, sondern die virtuose Verwirklichung eines aufrichtigen Willens zum Wahren, durch das allein wir der Schönheit in ihrer Mannigfaltigkeit habhaft werden können. Wir, die der klassischen Kunst und somit der Natur huldigen, kleiden uns nicht in alten Gewändern, vielmehr haben wir niemals ein solches abgelegt und weben an dieses unablässig fort, korrigieren auf die Bedürfnisse der Zeit den Schnitt und stopfen die Löcher dort, wo etwas verschleißt. Das Ewig Neue in der Kunst wird also durch die Erneuerung gewährleistet, nicht durch den egoistischen Drang, der erste in irgendeiner Sache sein zu wollen und auch nicht durch ein irrläufiges Bestreben zum Fortschritt. Die gesamte Moderne bis hin zur Gegenwart hat sich hierin abgemüht, doch im Endeffekt wurde bloß das Gegenteil erreicht, denn durch das ausschließende Primat des persönlichen Ausdrucks haben wir uns in das Stadium eines infantilen Primitivismus rückentwickelt, der ja ursprünglicher ist, als die Reife der klassischen Kultur, bloß mit dem Unterschied, dass unsere Urahnen es mit ihrer Kunst ehrlicher meinten, als wir mit unserer selbstzentrierten Ruhmsucht.
Einem jeden Kunstwerk haftet aber notwendig auch der Hauch des Neuen und weiter des Einzigartigen an, sodass durch das bewusst sich selbst unbewusste Schaffen mit einem jedem Werk die Kunst sich in ihrer Gesamtheit notwendig fortentwickelt und stetig erneuert, genauso wie die stetig evolvierenden Prozesse der Natur durch Reproduktion und Kreuzung die Artenvielfalt der Flora und Fauna bekräftigen. Weiter hemmt der Zweifel stets die Tat und so auch die Verwirklichung des eigenen Ingeniums, denn das überschüssige Grübeln über Stil und Genialität lässt uns in Unsicherheit und Mittelmäßigkeit verharren. Man täte also gut darin, unhinterfragt sich dem hinzugeben, was zum Staunen veranlasst und seine Fähigkeiten derart auszubilden, um in der Darstellung das bestmögliche Maß an Klarheit zu erreichen, um die innere Gemütsbewegung, die zum Schaffen anregte, auch dem Betrachter deutlich vermitteln zu können. Der Modus der klassischen Kunst ist also keine schnöde Stilfrage, sondern eine Haltung, die die Wahrheit der
Empfindung und die Liebe zum Stoff über die Eitelkeit des persönlichen Ausdrucks stellt. Man hat sich also nicht um die eigene Einzigartigkeit zu sorgen, denn, so der große Maler Anselm Feuerbach: „Was aber aus dem Tiefsten der Seele kommt, ist immer originell.“
Der Grund weshalb die Kunst ständig Gegenstand philosophischer Untersuchung ist, liegt hierin, dass sie in ihrer Gesamtheit ein getreues Spiegelbild einer Kultur und ferner des Menschen im Allgemeinen abgibt, wiewohl Hegel wohl am treffendsten die Kunst als die Veräußerung des Inneren der Menschenbrust bestimmt hatte. Betrachten wir uns aber das verzerrte Bild, das die Moderne auf uns zurückwirft, so müssen wir doch wohl feststellen, dass die frivole Fratze des Barbarismus uns höhnisch entgegen grinst. Ja, wir Europäer bekennen uns wieder zu unseren barbarischen Wurzeln und glauben darin noch einen Fortschritt zu erkennen, doch es gibt einige wenige, deren ungetrübte Herzen sich noch an all das jene klammern, dass uns bisher über alle Kulturen hinweg erhoben hat und diese guten Seelen stellen sich oft die Frage, ob so etwas wie eine zweite Renaissance heutzutage überhaupt noch möglich sei. Zur Beantwortung dessen soll man sich zuerst von dem Begriff der Renaissance verabschieden, denn um wiedergeboren zu werden, muss man vorerst einmal gestorben sein und all diese gemeinen Ikonoklasten werden es niemals zustande bringen, das Wahre, Gute und Schöne zu stürzen, das unserer Kultur zugrunde liegt, denn es geziemt dem Minderwertigen und dem Durchschnittlichen nicht, sich über dasjenige zu erheben, in dessen Schatten sie ewig stehen werden. Was aber tatsächlich von allergrößter Not ist, ist die Erneuerung, die Revolution – im wahrsten Sinne des Wortes – unseres fehlgeleiteten Kulturbewusstseins und eine solche Umkehr geschah aber bereits mehrmals im Laufe unserer Geschichte. Wir alle wissen dies und es gibt keinen Grund zur Annahme, dass dieses Unternehmen nicht nochmals möglich sei. In Anbetracht dessen waren die großen Epochen unserer Zivilisation ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das sich nicht nur in den Bildenden Künsten abzeichnete, sondern in sämtlichen Facetten des Lebens zum Ausdruck kam, sei es in der Philosophie und den Wissenschaften allgemein, der Literatur, der Politik, der Mode und so fort. Das aristokratische Bürgertum der attischen Demokratie, geprägt durch ein erhabenes Selbstverständnis, das dem Mühsal äußerer Bedrohungen zum Trotze erfochten wurde, war die Grundvoraussetzung des klassischen Altertums. Genauso war in einem fraktionierten Italien, geprüft vom stetigen Krieg und Seuche, in den einzelnen Stadtstaaten ein selbstbewusstes Bürgertum erwachsen, das, durch Bildung und Tugend auf Augenhöhe mit dem Adel stehend, den Boden für das Kommende ebnete. Ja, es erscheint geradezu mit einer geschichtlichen Notwendigkeit geschehen zu sein, dass diese ertragreiche Erde Figuren wie Dante, Petrarca, Botticelli, Leonardo, Tizian und all die anderen Giganten, soviel Zeit zur vollständigen Aufzählung verbleibt mir nicht, entstehen ließ. All die großen Kulturepochen unseres Kontinents folgen einer ähnlichen Formel, sei es die Nordische Renaissance, der Klassizismus, der Deutsche Idealismus und die Romantik oder auch die Belle Epoche von Paris und all diese prächtigen Äste sind Triebe ein und desselben Stammes, nämlich der des Geistes, der die klassische Antike beseelte. Seien wir also nicht zögerlich, ein gewisses Maß an Schöngeistigkeit von unserer eigenen Gesellschaft zu erwarten, im Gegenteil: Es wäre eine elitäre Anmaßung ihr das Potential hierzu abzusprechen. Hierzu bedarf es aber vorerst einer aufrichtigen Avantgarde, die der Zukunft den Weg ebnet und wahrlich, eine solche hätte eine ungebrochene, ja, eine unzerbrechliche Tradition hinter ihrem Rücken. Jene selbsternannten Avantgardisten reiten aber wie der irrsinnige Don Quijote mit gestreckter Lanze einsam einer Windmühle entgegen. Hiermit wollen wir den eigentlichsten Sinn der Künste von Neuem wieder erstrahlen lassen und um diesen näher darzulegen, erzähle ich nun von einem neulich geträumten Traum: Zu späterer Stunde saß ich da auf meinem geliebten Balkon, von dessen Warte aus man einen herrlichen Ausblick auf den Prater genießt und inmitten des nahen Heustadelwassers sah ich in der Finsternis, wie die Sterne sich auf der glatten Oberfläche widerspiegelten. Die Kunst vermag nichts anderes, sie ist ebenjenes Spiegelbild mit dem wir das Licht der Sterne auffangen, die unser aller Leben erleuchten und legen, wie vorhin erwähnt, in ihrer Gesamtheit mittels des Pathos eine Kosmologie dar, die den Menschen seinen sinngemäßen Platz erkennen lässt. Der Geist der klassischen Kunst tritt wohl am deutlichsten im 18. Gesang der Ilias zutage, mit der Beschreibung von dem Schild des Achill, der das All, also die Götter, die Sterne bis hinab das irdische Reich des Menschen abbildet. Die Kunst stiftet Weltbilder, nichts anderes vermögen dementsprechend der Menschheit größten Werke, seien es die Divina Commedia Dantes, die Fresken der Sixtinischen Kapelle, oder die neunte Symphonie Beethovens. Diese Meisterwerke sind wie Sonnen auf dem Firmament, das wir als die europäische Kultur bezeichnen und es liegt an euch, ihr schönen Seelen, neue Sterne im Dunkel wieder erstrahlen zu lassen.
Und nun zur abschließenden Zusammenfassung: Wenn also das Wesen eines Kunstwerkes sich bloß mit der Tatsache erschöpft, irgendeinmal das erste seiner Art gewesen zu sein, verliert es seinen anfänglichen Reiz für den Betrachter sogleich und das Neue, das Novum, verkommt zu einem bereits Bekannten. Ein großes und gutes Werk bleibt aber dennoch ein solches, selbst und vor allem nachdem der Zauber des Neuen verblasst. Das Ewig Neue aber tritt durch die Werke des Ingeniums in Erscheinung, denn in Nachahmung der sich ewig erneuernden Formenpracht der Natur und der wahrhaften Darstellung unseres Gefühllebens, transponiert der klassische Künstler durch sein Schaffen diesen Prozess in den Bereich des Menschlichen, sodass hiermit die Kunst, die keiner vermeintlichen Innovationen sich selbst überhöhender Zwerge bedarf, das Leben in seiner Fülle zur Darstellung bringt; und durch die Einzigartigkeit eines jeden einzelnen Werkes dann auch immer wieder von Neuem, auf ähnliche und dann wieder auf gänzlich verschiedene Arten, mal mit klassischen, mal mit manieristischen Formen, über die Kulturen und die Zeiten hinweg, vom Bestialischen aus bis hin zum Göttlichen.

Musik
Sängerin Olya Senynets und Pianistin Yaning Cui
Die Sängerin Olya Senynets sang für uns H. Wolf, F. Schubert und W. A. Mozart. Begleitet wurde sie von der Pianistin Yaning Cui am Klavier.